HYPERMADE CULTURE MAGAZINE

KOMMENTAR
30 Jahre Dsquared² – Der Exzess feiert sein Jubiläum

Wie Dean und Dan Caten eine Ästhetik schufen, die sich selbst konsumiert
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Apple iPad Pro M5 2025 showing 3D graphics rendering performance – official press image © Apple Inc.
Behind the Stage
Profilbild von Michael JankeMichael Janke
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Der Schweiß wirkt wie aus der Dose, der Glitzer wie aus dem Archiv: Dsquared² feiert sein 30-jähriges Jubiläum – und der einstige Rausch hat seine Temperatur verloren. Die Hitze von einst ist zur Pose erstarrt.

Das Ende der Provokation

Was früher als Grenzüberschreitung galt, ist heute längst Routine. Zwei Männer, die sich im Scheinwerferlicht küssen, sind inzwischen ein harmloses, beinahe dekoratives Symbol. Die neue Kampagne von Mert & Marcus erinnert an eine Zeit, in der Dsquared² noch das Gegenteil von Zurückhaltung war: laut und überhitzt. Die Fotografen drücken den Auslöser, doch der Knall bleibt aus. Damals stand das Label für eine queere, selbstbewusste Lust am Übermaß, für Energie statt Pose. Heute wirkt diese Sprache wie ein Zitat ihrer selbst – eine Geste, die niemand mehr deuten will oder muss, weil sie ihre Wirkung verloren hat und im Archiv der Posen verstaubt.

Der Nachhall der Nullerjahre

Gegründet im Jahr 1995 von den kanadischen Zwillingen Dean und Dan Caten, avancierte Dsquared² in den frühen 2000er-Jahren zu dem, was Diesel in den 1990ern war: eine Marke, die ein bestimmtes Lebensgefühl verkörperte. Während Diesel für Ironie, Straßenstaub und Unangepasstheit stand, war Dsquared² für Clubnächte, Muskelkult und exzessive Männlichkeit bekannt. Beide Marken lebten vom Versprechen der Freiheit, dass Kleidung einen Ausbruch aus der Welt der Spießer ermöglichen könne. Doch dieses Versprechen ist leer gelaufen. Der Exzess wurde zum Designprinzip, die Rebellion zur Markenstrategie. Was einst gefährlich war, ist längst kalkuliert und berechenbar.

Der inszenierte Kontrollverlust

Die neuen Bilder der FW25-Kampagne sind handwerklich solide, aber seelenlos. Jeder Schatten ist arrangiert, jede Geste gesetzt. Was sich früher durch die Freude an der Spontanität auszeichnete, ist heute nur noch deren kommerzieller Schatten. Das für echte Inspiration notwendige Chaos existiert nur noch als Beleuchtungseffekt. Der Schweiß glänzt wie Dekor – früher tropfte er echt, heute wirkt er wie CGI. Das Begehren ist ästhetisch durchkomponiert. Es ist ein inszenierter Kontrollverlust, bei dem das Licht nur noch seine eigene Harmlosigkeit beleuchtet. Die Marke tut so, als wolle sie die Nacht umarmen, doch diese ist nur eine weitere Kulisse im Fotostudio.

Die erschöpfte Energie

Dass sich dieser Typ der Modeinszenierung durch endlose Wiederholungen des immer gleichen Skandal-Placebos längst erschöpft hat, zeigt sich nicht nur bei Dsquared². Auch Diesel versuchte, seine alte Wucht ins neue Jahrtausend zu retten, und arbeitete dafür mit Nicola Formichetti, dem Stylisten von Lady Gaga, zusammen. Formichetti brachte Pop, Genderfluidität und digitale Ironie mit – und scheiterte doch am Kernproblem: Provokation ist nicht nachhaltig, lässt sich nicht konservieren und verlangt mit jeder Wiederholung nach höheren Dosen. Sie lebt vom Konflikt, also nur so lange, wie es etwas zu brechen gibt. Heute sind jedoch fast alle gesellschaftlichen Gegensätze ausdiskutiert und beigelegt. Die wenigen verbliebenen – Krieg und soziale Ungleichheit – lassen sich nicht in Kampagnenbilder übersetzen. Die einst in Glitzer getauchte Rebellion von Dsquared² wurde so zu einem leeren Rahmen, dem sein Bild abhanden gekommen ist.

Das Spektakel als Ersatzhandlung

Anlässlich ihres 30-jährigen Jubiläums verwandelten die Zwillingsbrüder Dean und Dan Caten ein Mailänder Lagerhaus in eine grelle Revue ihrer eigenen Mythen: Naomi Campbell, Doechii, Rollerskater, Cowboys, NYPD-Uniformen – und Brigitte Nielsen als Polizistin, die die beiden in Handschellen abführte. Es war ein Feuerwerk aus Zitaten – von Cher bis Tom of Finland, von Glamour bis Kitsch. Die Bühne roch nach Benzin, der Schweiß nach Parfüm. Dsquared² zelebrierte nicht den Exzess selbst, sondern seine Erinnerung daran. Alles war perfekt choreografiert. Gefährlich war nur noch, nichts mehr zu riskieren.

Hinter den Kulissen

Hinter der glatten Oberfläche beginnt das brüchige Rauschen der Realität. Im Oktober hat Dsquared² die Entlassung von rund vierzig Mitarbeitern angekündigt – offiziell wegen „tiefgreifender und komplexer Herausforderungen“. Ein Euphemismus für einen Abschwung, der längst nicht nur Zahlen betrifft. Während die Marke weiterhin von Exzess und Übermut spricht, verlagert sich der Kampf nach innen. Es gibt juristische Auseinandersetzungen mit Renzo Rosso um Lizenzrechte, dazu die immergleiche Parole: „We want to have fun and be ourselves.“ Doch was einst als Haltung galt, klingt heute wie eine Durchhalteparole aus einem System, das seine eigene Energie verbraucht.

Freiheit als Kulisse

Die Erschöpfung reicht aber weit über Dsquared² hinaus. Die Mode hat ihren Widerstand verloren, weil es keine Gegner mehr gibt. Sie ist zu bloßer Bekleidung geworden. Alles ist längst erlaubt, jede Ästhetik legitimiert, jede Haltung vermarktbar. Selbst die Subversion ist zur Stilrichtung geworden. Was bleibt, ist eine Industrie, die mit allen Mitteln um Aufmerksamkeit kämpft, aber kaum noch Bedeutung erzeugt. Dsquared² tanzt weiter, doch der Rhythmus stammt aus der Vergangenheit. Die Party, die nie enden sollte, ist heute mehr Ritual als Mythos. Die Marke feiert ihr 30-jähriges Bestehen, klingt dabei aber nur noch wie eine Coverband ihrer selbst. Dsquared² will die Flamme sein – und merkt nicht, dass es nur das Streichholz ist, das längst verglüht ist.

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