HYPERMADE CULTURE MAGAZINE

KOMMENTAR
Zwischen Funktion und Entzug

ZARA × Samuel Ross – Ästhetik der industriellen Reduktion
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Stillness and Structure
Profilbild von Michael JankeMichael Janke
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Die Zusammenarbeit zwischen ZARA und Samuel Ross ist weniger eine Kollektion als ein Versuch, das Verhältnis von Kleidung, Schutz und Distanz neu zu definieren. Während Mode gewöhnlich verführt, zieht sich Ross zurück – in Materialien, Schichten und Oberflächen, die den Entzug selbst zur Form machen.

Der Designer als Konstrukteur

Samuel Ross, Gründer von A-Cold-Wall, hat sich längst vom Image des Streetwear-Erneuerers gelöst. Sein Denken ist architektonisch, seine Mode eine Reaktion auf industrielle Prozesse. In der Kooperation mit ZARA übersetzt er diese Haltung in eine kontrollierte Sprache der Zugänglichkeit. Die Stücke wirken wie Prototypen aus einer anonymen Werkhalle: funktional, reduziert, ohne Pathos. Ross interessiert sich weniger für das einzelne Kleidungsstück als für die Idee seiner Wiederholung. Alles ist Serie, nichts individuell. Der Designer inszeniert Entpersönlichung als ästhetische Tugend.

Die vergessene Form

Es sind vertraute Stoffe wie Wolle, Denim und Baumwolle – doch sie bieten keinen Komfort. Ihre Oberflächen sind matt, gedämpft und absorbierend. Ross verweigert Glanz und Bewegung. Die Texturen scheinen die Haut zu verschließen, statt sie zu zeigen. In dieser Materialpolitik liegt ein stiller Widerstand gegen die Überproduktion visueller Reize. Die Kleidung ist nicht dafür gemacht, gesehen zu werden, sondern um auszuhalten. Selbst die Accessoires – Mützen, Taschen und Schuhe – wirken wie Werkzeuge und nicht wie Dekoration. Ross’ Materialästhetik ist eine Schule der Selbstbegrenzung.

Silhouette und Schutz

Die Silhouetten wirken schwer und verdichtet, beinahe unbeweglich. Sie betonen nicht die Körper, sondern verbergen sie. Der Mensch wird zum Träger, nicht zum Bild. Dies erinnert an Uniform und Arbeitskleidung, jedoch ohne heroische Geste. Der Schutz, den diese Formen bieten, ist physischer Natur. Es ist Kleidung für die Dauer, nicht für den Auftritt. In einer Modewelt, die sich im Bild erschöpft, entzieht sich Ross der Pose – und formuliert so einen Gegenentwurf zur Sichtbarkeit.

Inszenierung und Blick

Die Kampagne zeigt Modelle, die nicht spielen, sondern stehen. Kein Blick sucht den Kontakt, kein Gesicht drängt sich in den Vordergrund. Die Körper sind Behältnisse, keine Figuren – sie tragen, ohne zu erzählen. Ihre Präsenz ist funktional und nicht psychologisch – sie verkörpern Struktur statt Emotion. Das Licht bleibt neutral, die Räume sind anonym. In dieser fotografischen Kühle entsteht eine Form der Wahrheit, die das Modebild von jeder Sehnsucht befreit. Die Inszenierung wird zum Spiegel der Konstruktion: präzise, emotionslos, unbestechlich.

Das Team der Reduktion

Fotografiert von Willy Vanderperre und inszeniert von Gorka Sorozabal folgt die Kampagne einem dokumentarischen Prinzip: Distanz statt Emotion, Beobachtung statt Verführung. Die Models Julez Smith, Long Li, Timo Pan und Chandler Frye repräsentieren eine neue Generation internationaler Gesichter, die weniger durch Individualität als durch ihre Haltung überzeugen. Ihre Ruhe gibt den Kleidern Maß – kein Ausdruck, keine Pose, nur Haltung. In Zusammenarbeit mit Hairstylist Anthony Turner und Make-up Artist Lynsey Alexander entsteht eine visuelle Sprache, die den Körper nicht erhöht, sondern neutralisiert – eine Bildsprache der Präzision.

Farbe als Entzug

Die Farbskala bewegt sich zwischen den erdnahen, funktionalen und tonlosen Farben Braun, Grau, Khaki und Schwarz. Es gibt keine Akzente und keine Komposition. Farbe ist hier kein Ausdrucksmittel, sondern der Zustand von Konzentration. Der Verzicht auf visuelle Spannung wird zum Prinzip. Ross setzt auf emotionale Neutralität – ein Schweigen, das in der Mode selten geworden ist. Selbst helle Stoffe verlieren ihre Leuchtkraft. Die Kollektion spricht in Zwischentönen – eine Sprache ohne Lautstärke.

Der Gestus der Distanz

Ross’ Entwürfe verweigern sich der Begehrlichkeit, die das Modegeschäft antreibt. Die Modelle wirken anonym, die Posen beiläufig. Es geht nicht um Individualität, sondern um Systematik. Die Kleidung wird so zum Code einer Haltung: Disziplin, Kontrolle und Selbstbeherrschung. In dieser Strenge liegt eine paradoxe Humanität, eine Erinnerung daran, dass Reduktion auch Fürsorge sein kann. Die Mode verliert ihre Stimme, um den Körper zu schützen. Doch dieser Körper bleibt unbestimmt, beinahe abwesend.

Die stille Übersetzung

In der zweiten Saison ihrer Zusammenarbeit zeigen ZARA und Samuel Ross, wie ein Massenlabel die Sprache eines Avantgardisten aufnehmen kann, ohne sie zu entstellen. ZARA x Samuel Ross ist kein Stilbruch, sondern der Versuch, industrielles Denken in ein Massenformat zu übertragen. Das Ergebnis ist kühl, präzise und in seiner Konsequenz bemerkenswert zurückgenommen. Ross nutzt ZARAs Reichweite, um den Begriff des Funktionalen bis an die Grenze der Entindividualisierung auszudehnen. Mode wird hier nicht mehr als Ornament, sondern als Kommentar zu einer überreizten Gegenwart verstanden.

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