HYPERMADE CULTURE MAGAZINE

BÜCHER
Maschine und Mythos

Wie TASCHEN Ferrari ein Denkmal der Geschwindigkeit setzt
M
Ferrari XL — The Object
Ferrari XL — The Opening Spread
Ferrari XL — Origins of a Legend
Ferrari XL — Racing Precision
Ferrari XL — The Racing Convoy
Ferrari XL — The Blueprint
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Profilbild von Michael JankeMichael Janke
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Ein Buch wie ein Motorblock: kühl, glänzend, präzise. „Ferrari XL“ will nicht nur erzählen, sondern auch verkörpern. Es ist weniger eine Liebeserklärung als ein Monument – ein Zeugnis für die Idee von Perfektion, die Lust am Risiko und die Ästhetik des Unerschütterlichen.

Das Objekt als Maschine

Kaum ein Buch trägt seine technische Herkunft so offen zur Schau wie „Ferrari XL“. Es ist ein Artefakt, das nicht gelesen, sondern gestartet wird. Der Druck auf den Einband gleicht dem Zünden eines Motors. Großformat, rotes Leinen, Chromprägung: Mit diesem Werk hat Benedikt Taschen keine Enzyklopädie produziert, sondern eine Maschine zur Bewunderung geschaffen. Jede Seite ist eine kontrollierte Explosion aus Lack, Metall und Nostalgie. Man spürt, wie sehr das Buch gesehen werden will – und wie vollständig es in seiner eigenen Inszenierung aufgeht. In dieser Materialbesessenheit steckt ein Geständnis: Dieses Buch feiert weniger die Bewegung als die Oberfläche, den Glanz statt der Geschwindigkeit.

Eine Doppelseite aus Ferrari XL, die die Intensität der Boxengasse einfängt – 
Mechaniker bei der Arbeit an einem klassischen Ferrari Formel 1 Auto.
Eine Doppelseite aus Ferrari XL, die die Intensität der Boxengasse einfängt –
Mechaniker bei der Arbeit an einem klassischen Ferrari Formel 1 Auto.

© Taschen Verlag

Der Mythos als Erzählung

Pino Allievi und Alessandro Giudice schreiben mit der Präzision von Chronisten, aber im Ton von Priestern. Sie erzählen nicht von Autos, sondern von Offenbarungen. Enzo Ferrari erscheint dabei als metaphysische Figur, halb Prophet, halb Tyrann. Die Sprache vermeidet Distanz, sie schwärmt, beschwört und vergoldet. Manchmal klingt es, als wäre er weniger Ingenieur als Schöpfer einer eigenen Physik. Und doch bleibt das Buch ein Dokument der Sehnsucht nach Kontrolle: die Schönheit der Maschine als Antwort auf die Unberechenbarkeit des Lebens. Während sich andere Werke mit der Ambivalenz technischer Macht auseinandersetzen, verwandelt „Ferrari XL“ diese in eine Form des Glaubens.

Historische Szenen aus dem Rennsporttransport von Ferrari XL, die die akribische Choreografie 
hinter Ferraris goldenem Zeitalter des Motorsports zeigen.
Historische Szenen aus dem Rennsporttransport von Ferrari XL, die die akribische Choreografie
hinter Ferraris goldenem Zeitalter des Motorsports zeigen.

© Taschen Verlag

Das Bild als Überwältigung

Bekannte Fotografen wie Rainer Schlegelmilch und Louis Klemantaski liefern Ikonen statt Illustrationen. Ihre Bilder sind so perfekt komponiert, dass sie die Realität beinahe verdrängen. Jede Kurve wird zur Geste, jeder Schatten zum Beweis göttlicher Proportionen. Ferraris Werk wird hier so sehr verehrt, dass es zu einem Spiegel seiner eigenen Anbetung wird. Dieses Pathos ist nicht unschuldig, denn die Ästhetik des Buchs ist die Ästhetik der Macht – ein Blick, der nicht fragt, sondern triumphiert. Der Bildraum gleicht einem Museum des männlichen Blicks, in dem Technik und Begehrlichkeit ineinander übergehen, bis sie nicht mehr voneinander zu unterscheiden sind.

Archivseiten aus Ferrari XL mit seltenen Porträts, 
offiziellen Dokumenten und frühen  Bildern  aus Enzo Ferraris prägenden Jahren.
Archivseiten aus Ferrari XL mit seltenen Porträts,
offiziellen Dokumenten und frühen Bildern aus Enzo Ferraris prägenden Jahren.

© Taschen Verlag

Die Sprache der Überhöhung

Selbst das Vorwort von John Elkann liest sich eher wie ein Vermächtnis als wie eine Einleitung. Der Enkel des Fiat-Patriarchen Gianni Agnelli erinnert sich daran, wie er heimlich in den roten F40 seines Großvaters stieg. Das Donnern des Motors wurde für ihn zu einer Liturgie, zu einem „besonderen Nervenkitzel“, den er nie vergessen konnte. Dasselbe Pathos durchzieht die Texte von Piero Ferrari, in denen das Bild des Vaters zu einem entrückten Symbol wird – unantastbar und kaum hinterfragt. Aus diesen Stimmen spricht das Selbstverständnis einer Marke, die in Mythen statt in Geschichten denkt.

Open spread of Ferrari XL showing an early technical drawing of a Ferrari car
Engineering sketch featured in Ferrari XL, illustrating the genesis of Ferrari’s design philosophy.
© Taschen Verlag

Zeitlupe einer untergehenden Welt

Mit seiner Opulenz huldigt das Buch konsequent seinem eigenen Mythos. Alles ist Leistung, Eleganz und Triumph, frei von jeder Spur Skepsis. Jede Seite verweist auf eine Welt, in der Technik nicht nur funktionierte, sondern ein eigenes Ideal verkörperte. „Ferrari XL“ feiert die Idee von Perfektion und nicht deren Grenzen. Es beschwört die Erinnerung an eine untergegangene Ära, in der Fortschritt ästhetischen Glanz besaß und keine moralischen Konflikte auslöste. Die Bedeutung des Buches liegt in der Dokumentation einer uns heute fremd gewordenen, von Technik geprägten Welt, in der Geschwindigkeit mehr bedeutete als nur ein Versprechen.

Lesetipp

Ferrari (Hg.), Ferrari. TASCHEN, 2025, 688 Seiten, 125 EUR.

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