HYPERMADE CULTURE MAGAZINE

INTERVIEW
Aufbruch in Tanger

Der Fotograf Davide Edoardo über die Stadt, die sein Leben veränderte
A
Davide Edoardo – Tangier Rooftop
Rendez-vous à Tanger
Men and Shadows
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Profilbild von Anna LindbergAnna Lindberg
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Davide Edoardo besuchte im Jahr 2019 die marokkanische Hafenstadt Tanger und fasste dort den Entschluss, sein Leben als Fotograf neu zu beginnen. „Rendez-vous à Tanger“ erzählt in Bildern von diesem Aufbruch.

HYPERMADE: Warum Tanger? Was hat dich hierhergeführt – und warum ist gerade diese Stadt der richtige Ort für eine Serie wie RENDEZ-VOUS À TANGER?

Davide Edoardo: Meine Beziehung zu Tanger begann noch bevor ich die Stadt persönlich kannte. Es war eine jener Städte, die ich innerlich schon spürte, wie ein Ruf. 2019 habe ich sie dann endlich zum ersten Mal besucht, und es war, als ob ich sie schon immer gekannt hätte, als ob ich in einem früheren Leben hier gelebt hätte: Gerüche, Lichter, Geräusche, Empfindungen … alles kam mir vertraut vor, als hätte ich es vermisst. Seitdem kehre ich regelmäßig zurück und bleibe jedes Mal länger. In Tanger habe ich den Mut gefunden, mein Leben zu ändern und Fotograf zu werden, meine alte Laufbahn hinter mir zu lassen. Deshalb wollte ich ihr diese Serie widmen.

HYPERMADE: Beim Betrachten deiner Serie scheint Tanger fast ein Protagonist zu sein. Ist es für dich eher eine Kulisse – oder eine Figur an sich?

Davide Edoardo: Für mich ist es eine Figur an sich. Die Serie ist als Hommage an die Stadt entstanden, daher war es selbstverständlich, dass sie die Hauptrolle einnimmt – gleichberechtigt mit den beiden Protagonisten der Geschichte.

Die Dächer von Tanger zu verschiedenen Tageszeiten - Türme, Skyline und Sonnenuntergang 
© Davide Edoardo
Die Dächer von Tanger zu verschiedenen Tageszeiten – Türme, Skyline und Sonnenuntergang
© Davide Edoardo

HYPERMADE: Der Matrose begleitet die Serie, ohne je im Mittelpunkt zu stehen. Ist er für dich ein Symbol, ein Alter Ego – oder beides?

Davide Edoardo: Für mich ist er ein Symbol: Er steht für all die Menschen, die im Laufe der Zeit nach Tanger gekommen sind. Manche nur auf der Durchreise, andere angezogen von einem tiefen Ruf – viele von ihnen sind vom Zauber der Stadt gefangen geblieben.

HYPERMADE: Deine Bilder könnten aus den 1970ern stammen – oder von gestern. Was reizt dich daran, diese zeitliche Ungewissheit zu erzeugen?

Davide Edoardo: Ich glaube, Fotografie muss zeitlos sein. Emotionen haben kein Datum, und in diesem Sinne werden sie universell. Sicherlich haben die Meister, die ich als Kind bewunderte, meinen Blick beeinflusst, aber auch die Ästhetik Tangers selbst, die über viele Jahre fast in der Zeit eingefroren blieb.

HYPERMADE: Warum hast du für RENDEZ-VOUS À TANGER Schwarz-Weiß als Ausdruckssprache gewählt?

Davide Edoardo: Schwarz-Weiß lässt mehr Raum für die Vorstellungskraft, es enthüllt nicht alles sofort und mildert die Exzentrik mancher Farben, die oft Gefahr laufen, die Szene zu dominieren. In gewisser Weise ist es für mich eine „demokratischere“ Sprache.

Moschee-Silhouette, Turm auf dem Dach mit Möwen und Sonnenuntergang über Tanger 
© Davide Edoardo
Moschee-Silhouette, Turm auf dem Dach mit Möwen und Sonnenuntergang über Tanger
© Davide Edoardo

HYPERMADE: Viele deiner Bilder spielen mit Spiegelungen, Schatten oder Blicken außerhalb des Bildfeldes. Ist das eine bewusste Arbeit mit dem Unsichtbaren?

Davide Edoardo: Ja, absolut. Schatten, Spiegelungen, flüchtige Blicke gehören zum Geheimnis und erzählen von dem, was ein unaufmerksames Auge nicht sieht. Ich habe bewusst eine filmische Sprache gewählt, um innere Welten und latente Spannungen anzudeuten.

HYPERMADE: Wie gelingt es dir, Intimität zu zeigen, ohne sie auszustellen – und Distanz zu wahren, ohne entfremdend zu wirken?

Davide Edoardo: Ich wollte keine explizite Intimität zeigen, sondern Stimmungen und Atmosphären evozieren, vor allem jene, die mit dem geheimnisvollen Zauber der Nacht verbunden sind.

Fenster, Mauern und Bögen - Alltagsszenen in Tanger 
© Davide Edoardo
Fenster, Mauern und Bögen – Alltagsszenen in Tanger
© Davide Edoardo

HYPERMADE: Seit 2019 verbringst du viel Zeit in Marokko. Wie spiegelt sich diese persönliche Nähe im Projekt wider?

Davide Edoardo: Ich habe Marokko mehrere Reportagen und Serien gewidmet, die in Online-Magazinen veröffentlicht wurden, weil es für mich wie eine Leinwand ist, auf der ich meine Fotografien zeichne. Neben den Orten faszinieren mich die Schönheit und die Energie der jungen Menschen, mit denen ich zusammenarbeite: Sie haben eine Kraft und einen Willen, sich zu behaupten, die mich immer wieder beeindrucken. Mit ihnen zu arbeiten ist eine Ehre, und auf gewisse Weise habe ich das Gefühl, ihrer Ambition, wenn auch nur in kleinem Maßstab, eine Stimme zu geben.

HYPERMADE: Bei der Eröffnung hast du Musik und Duft einbezogen. Warum war es dir wichtig, die Wahrnehmung über das Visuelle hinaus zu erweitern?

Davide Edoardo: Weil Erinnerungen nicht nur visuell sind: Das Geruchsgedächtnis etwa ist unglaublich stark und oft gleichwertig mit dem visuellen. Ich wollte, dass das Publikum auch, zumindest teilweise, die Klänge und Düfte wahrnimmt, die für mich untrennbar mit Tanger verbunden sind.

HYPERMADE: Ist RENDEZ-VOUS À TANGER für dich ein abgeschlossenes Kapitel – oder der Beginn einer Serie, die du fortsetzen möchtest?

Davide Edoardo: Ich würde sagen, dieses Projekt kann als abgeschlossen gelten. Jetzt bin ich bereits auf neue Arbeiten ausgerichtet, auch wenn ich nicht ausschließe, dass ich Ecken dieser Stadt wieder als Bühne oder Kulisse für andere Projekte nutzen werde.

Zum Thema

Weitere Eindrücke der Ausstellung zeigt der HYPERMADE-Beitrag „Rendez-vous à Tanger“.

Im PorträtDavide Edoardo

Self-portrait of Davide Edoardo
Davide Edoardo
© Davide Edoardo

Davide Edoardo ist ein italienischer Fotograf mit Sitz in London. Nach einer langen Erfahrung in der Modebranche entschied er sich 2022, seine seit Kindheit bestehende Leidenschaft für die Fotografie zum Beruf zu machen. Leidenschaftlich dem Schwarz-Weiß-Bild verpflichtet, verbindet seine Arbeit Mode, Porträt und dokumentarische Fotografie. Seine Bilder erzählen eine Geschichte, sie sind schlicht und doch eindringlich und ziehen den Betrachter in die Szene hinein. Seit 2019 verbringt er viel Zeit in Marokko, einem Ort, zu dem er sich tief verbunden fühlt und der seine kreative Vision weiterhin prägt und inspiriert.

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@monsieurdavid
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