HYPERMADE CULTURE MAGAZINE

KOMMENTAR
Die Ästhetik der Simulation

Teil 3/3
Wie Algorithmen den Menschen in der Modebranche ersetzen
D
Futuristic digital fashion avatars with metallic skin and red lips, symbolizing virtual models replacing humans in the fashion industry
AI Models in the Datacenter
Profilbild von Michael JankeMichael Janke
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Nachdem die Gesichter verschwunden sind und die Avatare aufgestiegen sind, folgt der letzte Schritt: Die Mode löst sich vom Menschen. Was als technischer Fortschritt begann, wird zum kulturellen Wendepunkt.
Zurück bleibt die Simulation von Leben – perfekt, aber seelenlos.

Schönheit ohne Körper

Die Zukunft der Mode gehört digitalen Models. Doch was sich hier vollzieht, ist mehr als ein technologischer Umbruch – es ist ein kultureller Wandel. Mode war nie Kunst, sondern Design, also angewandte Ästhetik im Dienst der Verführung. Heute zeigt sich, dass sich auch diese Form der Gestaltung von ihren Ursprüngen löst. Die virtuelle Ästhetik kennt weder Müdigkeit noch Unschärfe. Avatare altern nicht, schwitzen nicht und scheitern nicht. Ihre Perfektion verneint das Menschliche. Damit verliert die Mode ihren Resonanzraum: den Körper als Träger von Geschichten, Narben und Widersprüchen. Übrig bleibt die Idee von Schönheit ohne Risiko, eine sterile Ästhetik.

Der Verlust der Spontaneität

In den großen Momenten der Modefotografie – ob bei Avedon, Newton oder Lindbergh – lag die Magie im Ungeplanten: ein Windstoß, ein Blick, eine Unsicherheit. Solche Augenblicke entstehen heute nicht mehr. Die KI kennt keine Störung. Alles ist möglich, aber nichts passiert. Das Unvorhersehbare, das die Mode einst lebendig machte, gilt nun als Fehler. Dabei war es oft gerade der Bruch, der einer Aufnahme Leben verlieh – die Geste, die nicht geplant war, das Licht, das zu früh kam. Mit der Kontrolle verschwindet auch der Zufall – und damit das Risiko, das Mode zu einem lebendigen Experiment machte. So verliert sie das, was sie einst ausmachte: den Moment des Wagnisses, in dem Schönheit nicht berechnet, sondern entdeckt wurde.

Von der Inszenierung zur Simulation

Die Simulation ist die neue Wahrheit. Was früher im Atelier entstand, entsteht heute in der Cloud. Designer, Fotograf, Model und Location verschmelzen zu Daten. Mode wird nicht mehr entworfen, sondern generiert. Damit verschwindet auch die Figur des Designers als schöpferische Kraft. Seine Handschrift wird durch algorithmische Stilvorgaben ersetzt, die sich endlos variieren lassen. Für die großen Modekonzerne ist das der Idealzustand: kein Eigensinn, kein Risiko, keine charismatische Figur, die die Kontrolle stören könnte. Das Zeitalter der Lagerfelds, Kawakubos oder Gallianos ist vorbei. Die Maschine produziert Stil, nicht Haltung.

Die Logik der Algorithmen

Mode war schon immer kulturell geprägt – sie sprach die Dialekte von Zeit und Ort. Paris, Mailand, Tokio oder New York standen jeweils für eigene Codes. Doch diese Vielfalt löst sich auf, da KI-Systeme Datensätze aus aller Welt zu globalen Durchschnittsbildern verrechnen. Entscheidend ist nicht mehr, was eine Kultur ausdrücken will, sondern was sich verkauft. Marken wie DressX oder The Fabricant zeigen bereits, wie virtuelle Kollektionen ohne Stoff oder Körper entstehen, die für Avatare und nicht für Menschen entworfen werden. Algorithmen lesen Trends, werten Likes aus und erzeugen die Ästhetik mit dem höchsten Absatz. Das Experiment wird zur Ausnahme, das Risiko zur Kostenstelle. Im Wettbewerb der Konzerne zählt nicht das Neue, sondern die Wiederholung des Vertrauten. Design wird verwaltet, nicht erfunden.

Das Ende des Handwerks

Mit dieser Entwicklung verschwinden die klassischen Berufe, die das Bild der Mode prägten. Fotografen, Stylisten, Visagisten und Setbauer verlieren ihre Grundlage – nicht, weil sie schlechter würden, sondern weil sie überflüssig werden. Junge Menschen studieren weiter Mode- und Fotodesign, Studios entstehen, als wäre alles wie immer. Doch das System ist längst überholt. In wenigen Jahren werden diese Berufsfelder kaum noch existieren. Was früher Teams aus Spezialisten erforderte, erledigt heute ein Rechner in Sekunden. Mit dem Verschwinden der Arbeit verschwindet auch die kollektive Erfahrung, die Mode einst zu Kultur machte. Dieser Wandel ist unumkehrbar – nicht aus ästhetischen, sondern aus ökonomischen Gründen. Er folgt der Logik des Kapitals: billiger, schneller, skalierbar. Der Mensch ist in dieser Gleichung der entbehrliche Faktor.

Das stille Verschwinden des Menschen

Große kulturelle Umbrüche begannen nie mit Lärm, sondern mit Gewöhnung. Solange alles funktioniert, protestiert niemand, wenn das Modell nur noch ein Avatar ist, weil es bequemer ist. Doch im Hintergrund verschiebt sich etwas Grundsätzliches: Das Bild löst sich vom Menschen und die Darstellung von der Erfahrung. Es bleibt eine Oberfläche ohne Tiefe, eine Welt, die nur noch wie Wirklichkeit aussieht. In dieser Stille liegt der eigentliche Verlust: Mode war einst ein Austausch zwischen Menschen, ein sichtbares Gespräch zwischen Körpern, Blicken und Kulturen. Wenn dieser Dialog endet, bleibt nur noch das Echo der Simulation, das Ende der Berührung, der Blick, der nicht mehr erwidert wird. Was die Mode heute erprobt, wird morgen auch andere Berufe treffen. Redaktionen, Ateliers und Bühnen. Die Ästhetik der Simulation frisst ihre Kinder – und die Mode applaudiert dabei, als wäre es ein Fortschritt.

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