HYPERMADE CULTURE MAGAZINE

KOMMENTAR
Die Leere nach dem Glanz

Olivier Rousteing und Balmain gehen getrennte Wege
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The End of the Pose
Profilbild von Michael JankeMichael Janke
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Er war das Waisenkind, das sich selbst erfand. Vierzehn Jahre lang hat Olivier Rousteing das Modehaus Balmain in ein Pop-Spektakel verwandelt – eine Zeit zwischen Genie, Größenwahn und digitaler Selbstvergötterung. Nun endet eine Ära, in der Glanz mit Bedeutung verwechselt wurde.

Das goldene Jahrzehnt

Als das Wunderkind der Mode, Olivier Rousteing, im Jahr 2011 im Alter von nur 25 Jahren die Leitung des französischen Modehauses Balmain übernahm, war dieses bereits ein Relikt vergangener Tage: elegant, aber müde. Der junge Designer brachte Energie, Lautstärke und sich selbst mit. Ein schwarzer Designer im Zentrum der Pariser Haute Couture – das war mehr als ein neuer Stil, das war ein Signal. Rousteing besaß ein Gespür für Form und Proportion, das Balmain handwerklich und ökonomisch stabilisierte. Seine frühen, streng konstruierten Jacken oder die Bezüge auf Pierre Balmain aus dem Archiv zeigten durchaus Substanz – doch er verstand, dass sich die Macht in der Mode verschoben hatte: weg von der Handarbeit, hin zur Sichtbarkeit. Wo früher Stille regierte, setzte er nun grelle Zeichen. Seine Bühne war nicht mehr das Atelier, sondern Instagram, und er selbst war die Hauptfigur im neuen Drama der Mode.

Der Kult der Sichtbarkeit

Mit der „Balmain Army“ schuf Rousteing ein Netzwerk aus prominenten Gesichtern mit globaler Reichweite, das Mode in Sichtbarkeit übersetzte. Kim Kardashian, Rihanna und Beyoncé trugen seine Entwürfe und machten ihn selbst zum Star seiner Marke. Er inszenierte nicht nur Kleidung, sondern auch Zugehörigkeit: Wer Balmain trug, gehörte zu seinem Universum aus Glanz und Macht. Seine Mode war wie eine Rüstung: metallisch, glänzend, ein Bekenntnis zur Kontrolle. Rousteing feierte die „Powerfrau“: makellos, unnahbar, immer perfekt ausgeleuchtet. Sie predigte Stärke, um ihre Verletzlichkeit zu verbergen. Doch hinter der Rhetorik des Selbstbewusstseins stand ein Körperideal, das Härte statt Freiheit forderte. Er machte Diversität sichtbar, aber selten gleichberechtigt – sein Ideal blieb die perfekte, unzerbrechliche Frau. Jede Naht war eine Behauptung, jedes Kleid ein Statement: „Ich existiere, weil du mich siehst.“ Er machte Luxus kompatibel mit dem Selfie-Zeitalter und verwandelte Exklusivität in Dauerpräsenz. Doch je heller das Licht wurde, desto flacher wurde sein Glanz. Rousteing traf den Nerv einer Zeit, die Schönheit mit Macht verwechselte und den Glanz des Goldes zu ihrer Religion erkor.

Das Spiegelbild als Bühne

Rousteing war weder Schneider noch Handwerker, sondern der Regisseur seines eigenen Mythos. Während andere Stoffe drapierten, choreografierte er Aufmerksamkeit. Jede Kollektion war Spiegel und Bühne zugleich – ein Akt permanenter Selbsterfindung. Mit den Jahren wurden seine Auftritte größer als seine Entwürfe und seine Präsenz dominierte die Marke. Balmain diente nur noch als Kulisse für den Mann im Mittelpunkt. Er sprach von Diversität, doch gemeint war vor allem Sichtbarkeit – seine eigene. Die Botschaft lautete: „Wenn du mich siehst, siehst du Fortschritt.“ Doch ein Fortschritt, der sich nur selbst applaudiert, erschöpft sich schnell. Mit der Zeit verwandelte sich die Rebellion in bloße Routine und aus dem Aufrührer wurde ein Getriebener. Rousteing schien zwischen Emotion und Kalkül zu schwanken – ein Stratege, der seine eigene Überhöhung präzise steuerte. Er suchte wohl nach Liebe, fand aber vor allem Bewunderung, die nach immer neuen Scheinwerfern verlangte.

Das Feuer und die Fassade

Im Sommer 2021 kam es in der Pariser Wohnung von Rousteing zu einer Explosion, durch die ein Zimmer in Brand geriet. Rousteing erlitt dabei schwere Verbrennungen an Brust, Armen und Händen. Lange schwieg er darüber. Während sein Körper heilte, errichtete er eine neue Fassade. Hohe Kragen, verdeckte Haut – der Schmerz blieb verborgen, weil er nicht ins Bild passte. Ein Jahr später zeigte er die Narben auf Instagram: perfekt ausgeleuchtet und mit viel Pathos inszeniert. Selbst die Wunde wurde Teil seiner Erzählung. Rousteing machte Schmerz zum Motiv und das Trauma zum Ornament. Seine Mode sprach fortan von Stärke, doch sie atmete Angst. Die Bandagen, die er auf den Laufsteg brachte, wirkten weniger wie Trost als vielmehr wie Tarnung. Er hatte überlebt und sein Überleben in Stil verwandelt. Damit ging jedoch jene Authentizität verloren, die nur dort entsteht, wo Kontrolle endet.

Der stille Absturz

Unter seiner Leitung wurde Balmain zum Echo der eigenen Glanzzeit. Die Kollektionen rotierten im Kreis, zeigten vertraute Gesichter und Posen – nur das Datum änderte sich. Rousteing sprach von Neuanfängen, doch jeder Look erinnerte an den vorherigen. Was einst provokativ war, wurde zur Routine. Die Marke glänzte, aber sie glühte nicht mehr. Selbst die treuesten Kunden sehnten sich mit der Zeit nach Stille. Sie wollten keine Spektakel mehr, sondern Handwerk und Zurückhaltung. Doch auch „Zurückhaltung“ ist eine Form der Inszenierung – eine, die Rousteing vielleicht schlicht fremd blieb. Er blieb wie gewohnt der Lauteste im Raum. Er sprach von Authentizität und Vielfalt, schuf dabei aber eine Welt aus Bühnenlicht und Reflexen, die nur ihn selbst zurückwarfen. Balmain war wirtschaftlich stabil, ästhetisch jedoch erschöpft. Mayhoola, der katarische Eigentümer des Hauses, ließ Rousteing gewähren, bis dessen Routine unübersehbar wurde und den Erfolg der Marke gefährdete. Dann kam der Wechsel: Der neue CEO Matteo Sgarbossa verlangte ein anderes Tempo und eine „kreative Neuausrichtung“. Hinter dieser Floskel verbarg sich ein Abschied, wie er in dieser Branche üblich ist: höflich formuliert, aber längst beschlossen.

Das Erbe der Leere

Olivier Rousteing hinterlässt ein strahlendes Haus, das keinen Schatten mehr wirft. Er hat Balmain gerettet, modernisiert und mit neuem Leben gefüllt – und dabei zugleich entkernt. Seine größte Leistung war es, Mode für ein neues, junges Publikum zu öffnen. Seine größte Niederlage bestand jedoch darin, sie in bloße Oberfläche zu verwandeln. Er brachte Diversität auf den Laufsteg, oft jedoch nur als dekoratives Element. Er sprach von Inklusion, doch es blieb ein risikofreies Stilmittel. Was als Revolution begann, endete als die Routine eines Mannes, der sich selbst für unverzichtbar hielt. Seine Ästhetik, einst ein Aufschrei, wurde zu einem berechneten, leeren Algorithmus. Selbst der Luxus, den er so exzessiv verkörperte, verlor unter ihm seine exklusive Aura. Ob dieser Abschied ein Scheitern war oder nur das Ende eines Zyklus, bleibt offen. Seine Abschiedsworte klangen ungewohnt gedämpft: „Ich bin zutiefst stolz auf alles, was ich erreicht habe, und unendlich dankbar für mein außergewöhnliches Team.“ Diese Worte sind wohl gewählt, sie vermeiden jeden Trotz und Zorn. Rousteing war die perfekte Person für eine Zeit, in der Sichtbarkeit wichtiger war als Bedeutung – eine Ära, die an ihrem eigenen Glanz erstickte.

Nach dem Licht

Bei seinem Abschied von Balmain stand Rousteing noch einmal genau da, wo er immer stehen wollte: im Zentrum der Aufmerksamkeit. Doch selbst der hellste Stern strahlt nur, bis er verglüht. Er hatte alles kontrolliert – sein Bild, seinen Körper –, und doch blieb hinter all dieser Kontrolle nichts als Oberfläche. Für ihn war Mode nie Stoff, sondern sein Spiegelbild. Nun zeigt dieser Spiegel nur noch ihn selbst, geblendet vom eigenen Glanz. Der Rauch hat sich verzogen, doch der Staub des Goldes schwebt noch im Raum. Rousteing wird weitermachen, irgendwo, irgendwie – er kennt kein anderes Überleben als Sichtbarkeit. In der Mode suchte er nach dem, was ihm das Leben verweigert hatte: Zugehörigkeit. Doch die Mode ist kein Ort für Therapie, sondern für Täuschung. Sie verwandelt Schmerz in Oberfläche – und darin war er ein Meister.

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