HYPERMADE CULTURE MAGAZINE

INTERVIEW
August Zirner über Kunst, Herkunft und das Leben dazwischen

Teil 1/6
Sprache, Musik und die Verantwortung der Kunst
A
August Zirner – Actor and Musician with Flute
BEITRAG ANHÖREN
0:00 / 0:00

In sechs Teilen erzählt der Schauspieler August Zirner auf HYPERMADE von Sprache, Verantwortung und dem feinen Unterschied zwischen Ausdruck und Wirkung.

HYPERMADE: Lieber Herr Zirner, welche historischen Missverständnisse über Kunst und Künstler begegnen Ihnen immer wieder – und lassen Sie bis heute nicht los?

AUGUST ZIRNER : „Künstler sind halt Narzissten.“ Das finde ich eine ziemlich kurzgedachte Behauptung, wenn man die Welt anschaut und merkt, was für Narzissten die Welt regieren. In der Musikgeschichte hingegen gibt es viele Beispiele von Komponisten, die für Unrechtsregime gearbeitet haben und mit den Worten entschuldigt werden: „Er ist halt ein Künstler!“ Natürlich ist die Kunst etwas, was über das Tagespolitische hinausgeht. Trotzdem hat ein Künstler Verantwortung, sich seine Auftraggeber genau anzuschauen.

HYPERMADE: Gibt es für Sie eine moralische, ethische oder gesellschaftliche Grenze, die ein Künstler nicht überschreiten sollte? Oder liegt genau darin seine Herausforderung?

AUGUST ZIRNER: Ein Künstler ist vor allem immer erst mal einfach ein Mensch. Als Künstler, der ein Mensch der Öffentlichkeit ist, trägt er auch Verantwortung.

HYPERMADE: Inwieweit kann sich Kunst dem Politischen überhaupt entziehen – oder ist der Akt des Schaffens bereits eine Haltung an sich?

AUGUST ZIRNER: Mit allem, was man tut, setzt man sich in Verbindung zu seiner Umwelt. Insofern ist alles letzten Endes politisch. Wobei politisch inzwischen ein recht wackliger Begriff geworden ist. Früher hat man gesagt, alles was man tut, ist politisch, und dadurch auch alles Künstlerische. Inzwischen, glaube ich, geht’s eher darum, dass man versucht, sein Verhältnis zur Welt zu spiegeln und zu teilen…

HYPERMADE: Wer Ihnen zuhört – in Interviews, auf der Bühne oder durch Ihr Spiel auf der Flöte – denkt mitunter an Nikolai Medtner: ein Künstler mit zurückhaltender Öffentlichkeit und innerem Feuer. Können Sie sich mit dieser stillen Intensität identifizieren?

AUGUST ZIRNER: Vielen Dank, dass Sie mich mit so einem wunderbaren Komponisten in Verbindung bringen – aber nein: stille Intensität ist nicht meine Sache. Ich liebe Öffentlichkeit, ich liebe Publikum – das sind immer noch die Restposten meines Narzissmus. Theater, Musik, Sprache – die Bühne ist für mich Begegnung mit Publikum. Falls ich zurückhaltend oder eher schüchtern wirkte, dann war das wohl raffinierte falsche Bescheidenheit.

HYPERMADE: Musikalität als Voraussetzung für gutes Sprechen – ein Gedanke, den Sie einmal geäußert haben. Gibt es für Sie Momente, in denen Sprache selbst zur Musik wird?

AUGUST ZIRNER: Musik und Sprache reiben sich aneinander wie das männliche und das weibliche Prinzip. Sie brauchen einander, sie bedingen einander und können sich ergänzen. Und miteinander tanzen.
Ich habe vor ein paar Jahren den Dr. Schuster in Heldenplatz von Thomas Bernhard gespielt. Thomas Bernhard schafft es, mit Sprache wahnsinnig musikalisch umzugehen. Seine Sprache wird von einer inneren Musikalität getragen. Man muss sich ihr zwar beim Sprechen widersetzen, aber man kann sich auf sie verlassen, um den Bogen eines Gedankens zu transportieren. Ich habe Thomas Bernhard sehr spät erst entdeckt.
Es ist ein bisschen wie bei Friedrich Schiller: Man muss das Metrum der Sprache kennen, aber darf sie nicht bedienen. Im Grunde könnte man sagen: Man muss mit der Sprache tanzen.

HYPERMADE: Wie wirkt sich Ihr musikalisches Hören und Denken auf Ihr Spiel als Schauspieler aus – auf Phrasierung, Pausen, innere Stimme?

AUGUST ZIRNER: Wenn ich viel Flöte gespielt habe, wirkt sich das immer auf mein Sprechen aus. Umgekehrt komischerweise genauso. Entscheidend ist der Umgang mit Phrasierungen. Man entwickelt auch ein Bewusstsein für die Qualität von Stille oder Zäsur, die sprachlich oder musikalisch entsteht. Früher habe ich die meisten Sachen eher instinktiv oder impulsiv gemacht. Jetzt, wo ich im Alter drüber nachdenke, wird mir klar: Phrasierung, Atmung, Zuhören und Warten-Können – das muss geübt sein. Man muss auf den richtigen Impuls lauschen können. Und die Kunst besteht darin, nicht zu lange zu warten, sondern zu reagieren. Manchmal sogar recht schnell!

HYPERMADE: Sie haben verschiedene Instrumente wie Klavier und Gitarre gespielt, sich aber schließlich auf die Querflöte konzentriert. Was hat dieses Instrument mit Ihrer Stimme – und mit Ihrem schauspielerischen Ausdruck – gemacht?

AUGUST ZIRNER: Die Atmung, die durch den Hals geht und die Stimme zum Klingen bringt, ist auch der gleiche Atem, der durch die Lippen in die Flöte fließt und sie auch zum Klingen bringt. Wenn man sich Atem als so etwas wie Seele vorstellt, dann kann sie sich entweder im Rohr einer Flöte zu einem Ton entwickeln oder im Hals und den Stimmbändern zu Sprache oder natürlich Gesang.

HYPERMADE: Wenn Sie auf Ihre Schauspielrollen zurückblicken – was ist für Sie der zentrale Moment der Verkörperung?

AUGUST ZIRNER: Es ist auf jeden Fall die Sprache, der Rhythmus, der Blick und der Atem – aber auch das Wahrnehmen des Partners. Das Gegenüber. Der Blick des zuhörenden Partners. Das Reagieren auf den Partner. Und es gibt auf jeden Fall noch etwas, das sich nicht wirklich benennen lässt. Ich möchte es auch nicht beschreiben. Es hat mit Glück zu tun. Mit dem Glück, eine Geschichte mit einem Publikum zu teilen. Auf der Bühne zu stehen und durch eine Figur zu erzählen.

Nachklang

Vielleicht ist es diese stille Spannung, die August Zirner meint, wenn er von Rhythmus spricht – ein Lauschen auf den Moment, auf das Unsagbare zwischen den Zeilen.

Im zweiten Teil des Interviews spricht August Zirner über: Franz Schmidt, familiäre Brüche und die leise Traurigkeit eines Trompetensolos.
HYPERMADE CULTURE MAGAZINE
Consent Management Platform von Real Cookie Banner