In sechs Teilen erzählt August Zirner auf HYPERMADE von Sprache, Verantwortung und dem feinen Unterschied zwischen Ausdruck und Wirkung.
HYPERMADE: Viele Künstler versuchen heute, ihre Relevanz durch Geschwindigkeit und Sichtbarkeit zu behaupten. Welche Form von Zeit braucht Kunst, um tief zu wirken? Und wie bewahrt man diese Zeit in der eigenen Arbeit?
AUGUST ZIRNER: Früher hat man schnelles Sprechen als „Flucht vor dem Ausdruck“ bezeichnet. Ich muss gestehen, ich habe das auch gemacht. Ich fand Tempo einfach spannend. Friedrich Schiller schnell zu sprechen fand ich cool. Inzwischen halte ich es aber eher für sinnvoll, der Sprache die Zeit zu lassen, die sie braucht, um beim Zuhörer wirklich anzukommen. Das ist schwer zu ermessen, aber wenn man aufmerksam auf der Bühne spielt, kann man merken, was einem Publikum zumutbar ist.
HYPERMADE: Sie betonten einmal, dass es Sie mehr reizt, Werke von heute zu spielen – von lebenden Komponisten. Was macht die Gegenwart für Sie als musikalischen Ort so interessant – und was fehlt ihr vielleicht?
AUGUST ZIRNER: Ich weiß nicht, was ich damit gemeint habe. Ich finde jeden musikalischen Ansatz der Gegenwart dann spannend, wenn er ehrlich ist – also vermutlich nicht nach irgendeinem „Geschmack“ sein Fähnchen hängt.
HYPERMADE: Die Grenzen zwischen den Musikstilen verschwimmen immer mehr. Wohin entwickelt sich Ihrer Meinung nach die klassische Musik?
AUGUST ZIRNER: Die klassische Musik entwickelt sich überhaupt nicht. Sie ist ja schon längst geschrieben! Möglicherweise aber ändert sich etwas in der Art, wie sie interpretiert wird.
HYPERMADE: Hat der Jazz auch heute noch eine Relevanz, um junge Menschen zu erreichen?
AUGUST ZIRNER: Das müssen Sie junge Menschen fragen, nicht mich. Aber ich finde, Musik hat immer eine Relevanz und jede Stilrichtung hat eine Berechtigung. Es kommt immer nur darauf an, wie der Interpret sie einem Publikum präsentiert.
Jazz befindet sich auch schon in der – ich weiß nicht wievielten – Metamorphose. Ich bin eher gespannt, was junge Interpreten noch herauskitzeln können. Es ist ja vermutlich so, dass es nichts Neues auf der Welt gibt. Alle Melodien sind schon in irgendeiner Form einmal vorgekommen. Die Töne geistern schon seit Ewigkeiten im Äther herum. Insofern ist jede Komposition eine Form von Wiederholung. Es kommt nur drauf an, sie immer mal wieder runterzuholen und neu zu ordnen.
Erstaunlicherweise entdeckt man ja doch immer wieder etwas Neues. Ich glaube, solange Menschen kreativ sind, wird es so sein. KI kann das vielleicht simulieren – aber wirklich originell wird sie nie sein können. Jung oder alt oder männlich oder weiblich – die Hauptsache ist, wir bemühen uns, die Töne auf die Erde zu holen. Und was den Jazz betrifft: Frank Zappa hat es vor vielen, vielen Jahren auf den Punkt gebracht, als er sagte: „Jazz isn’t dead. It just smells funny.”
HYPERMADE: Hat Sie Ihre Karriere als Schauspieler, mit allem, was Sie damit ausdrücken, gestalten und berühren konnten, im Nachhinein damit versöhnt, dass Sie nie hauptberuflich Musiker geworden sind? Oder bleibt ein Rest von Sehnsucht – ein leiser Ton, der nie ganz verstummt?
AUGUST ZIRNER: Sehnsucht ist ein wesentlicher Bestandteil von mir. Meistens empfinde ich, dass ich eigentlich nichts Halbes und nichts Ganzes bin. Halb Schauspieler, halb Musiker. Als Schauspieler gibt es noch so viele Sachen, die ich nicht kann oder noch nicht ausprobiert habe, und als Musiker geht’s mir genauso. Lauter halbe Sachen! Das nervt auch.
Wie ich vorhin schon gesagt habe: Ich versuche mit Händen und Füßen zu erzählen – mit Sprache, mit Spielen, mit Flöten, mit Händen und Füßen.
HYPERMADE: Gibt es eine Rolle, ein musikalisches Projekt oder eine künstlerische Idee, die Sie schon lange begleitet, aber noch nicht umgesetzt haben?
AUGUST ZIRNER: Ja! Noch einige.
Nachklang
Töne sind wie Erinnerungen – sie schweben, sie kehren zurück. Und manchmal sagen sie etwas, das Worte nie sagen könnten. Der nächste Teil führt uns auf die Bühne – dorthin, wo Ausdruck und Dialog beginnen.